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von Carolin Kruse, fair spaces

Superblocks: Von Verkehrsberuhigung bis hin zur Steigerung der Aufenthaltsqualität

20.06.2024

Immer mehr Städte und ihre Bevölkerung möchten den öffentlichen Raum lebenswerter gestalten. Ein Ansatz, welcher daher immer häufiger in die Umsetzung kommt, um die städtischen Ziele von ruhigen, grünen, klimaresilienten, sicheren und lebenswerten Quartieren zu erreichen, ist es verkehrsberuhigte Bereiche zu errichten. Dieser Ansatz ist vielen bekannt unter dem Namen „Superblock“.

Der hohe Motorisierungsgrad und die Nutzung von Pkw auch für kurze Strecken (z. B. 26,7% der Wege zwischen 1 und 3 km werden in Berlin mit dem Auto zurückgelegt, mehr dazu) stehen diesen Gestaltungen häufig im Wege. 

Der Ansatz & Begrifflichkeiten

16-Bodenschwellen

Erstmals wurde der Begriff “Superblock” in Barcelona gesetzt als im Stadtteil Gràcia bereits im Jahr 2003 mit zwei Superblocks erste Erfahrungen gemacht wurden. Circa zehn Jahre später hat die Stadt Superblockprogramme durchgeführt (2012-2015 und 2016-2019). So sind ab dem Jahr 2016 weitere Superblocks, eigentlich genannt Superilles (Singular: Superilla), entstanden.

Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Der gemeinnützige Verein changing cities fasst den Ansatz wie folgt zusammen: „Unter Superblocks werden städtische Quartiere mit hoher Lebensqualität, guter Klimaresilienz, mit sicherer Fuß-, Fahrrad- und ÖPNV-Infrastruktur und ohne Kfz-Durchfahrtsverkehr verstanden.“ Somit werden dem Fuß- und Radverkehr die höchste Priorität im Quartier zugewiesen, möglichst niedrige Geschwindigkeiten (max. 30 km/h) werden angeordnet, der motorisierte Durchgangsverkehr wird unterbunden, am Rand des Gebietes wird eine gute ÖPNV-Verbindung vorgehalten und die generelle Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum wird gesteigert. 

Neben Barcelona hat sich eine weitere spanische Stadt, Victoria-Gasteiz (Nord-Spanien) im Jahr 2009 aufgemacht 77 Superblocks zu identifizieren und 17 umzusetzen. Auslöser für diesen Planungsschritt war der stetig ansteigende Autoverkehr in der sehr kompakten Stadt, die ideal für den nicht motorisierten Verkehr (Fuß- und Radverkehr) ist.

Ähnliche Ansätze wurden auch in anderen Ländern umgesetzt, z.B. in Ghent mit dem „Circulation Plan“, in Groningen mit dem „Verkeerscirculatieplan“, in Amsterdam mit dem „traffic calming or traffic shy“-Konzept, in London mit „low traffic neighbourhoods“, in Wien mit dem „Supergrätzl“ oder auch in Paris mit der „15-Minuten Stadt“. Innerhalb Deutschlands sind die Begrifflichkeiten ebenfalls unterschiedlich. Entweder wird der Begriff „Superblock“ genutzt oder es werden eigene stadt-spezifische Begriffe gefunden, z.B. Kiezblock in Berlin, Veedel in Köln und Heinerblock in Darmstadt.

Der Prozess

11-2-Schmale-Einbahnstraße

Der Prozess hin zu einem verkehrsberuhigten Quartier beginnt über zwei Wege. Entweder bottom-up oder top-down. Bei einem bottom-up Prozess kommt die Initiative aus der Bevölkerung. Über z.B. das Sammeln von Unterschriften für ihr Anliegen (Einwohner*innenanträge, Bürger*innenbegehren), Aktionen im öffentlichen Raum und Gespräche mit der kommunalen Politik tritt die Bevölkerung in dem Quartier für ihr Anliegen ein.

Bei dem top-down Prozess wird das Anliegen „von oben“ von der kommunalen Politik und Verwaltung initiiert und organisiert. Über beide Wege sind bereits verkehrsberuhigte Quartiere in die Umsetzung gekommen. Bei einem bottom-up Prozess wird die Bevölkerung automatisch in den Prozess aktiv eingebunden, wie bei Gesprächen in der Unterschriftensammlung oder bei Aktionen. Dennoch ist es hier wichtig, wie auch bei top-down Prozessen, die Bevölkerung aktiv, organisiert und inklusiv im Prozess zu beteiligen. Einerseits weiß die Bevölkerung vor Ort am besten, wo es zu Konflikten im Straßenraum und unsicheren Vorfällen kommt, kann lärmintensiven Stelle benennen und hat Ideen an welchen Stellen Maßnahmen zur Steigerung von Aufenthaltsqualität notwendig sind.

Andererseits treten bei vielen Menschen Bedenken auf, wenn es zu geplanten Änderungen in der Verkehrsführung und generell im öffentlichen Raum in ihrem Quartier kommt. Durch eine breite Beteiligung mit ausreichend Zeit für Austausch sowie dem aktiven Zugehen auf verschiedene Bevölkerungsgruppen können Bedenken gemindert werden. In der Phase in welcher die Maßnahmen erarbeitet werden (Konzepthase) ist die Bevölkerung stetig zu informieren und über Veranstaltungen, Internetpräsenz, Postwurfsendungen, Plakaten u.ä. stetig über den Fortschritt des Konzeptes auf dem Laufenden zu halten. 

Evaluationsergebnisse

https://www.barcelona.cat/pla-superilla-barcelona/sites/default/files/2022-10/3%20Superilla%20Poblenou%202.jpg

In Victoria-Gasteiz wurden nach der Umsetzung des Superblocks, um die Straße „Sancho el Sabi“ ein starker Rückgang von CO2-, Feinstaub- und Lärmemissionen sowie vom Autoverkehr gemessen. Die Flächen für den Fußverkehr wurden von 45% in dem Quartier auf 74% ausgeweitet.

Nach Umsetzung des Superblocks in Poblenou in Barcelona wurden „so gut wie keine Verkehrsunfälle“ registriert. Die Bevölkerung in dem Gebiet ist gestiegen, insbesondere durch Zuzug jüngerer Menschen (das Gebiet liegt in einem ehemaligen Industriegebiet und war 2014 recht gering besiedelt). Zudem hat der Anteil von ebenerdigen Geschäften zugenommen, was zu einer Steigerung von örtlichen Unternehmen um 30% geführt hat. Der Kfz-Verkehr in den umliegenden Straßen, die durch die Errichtung des Superblocks nun nicht mehr durch das Gebiet fahren konnten, hat sich an zwei Seiten des Superblocks reduziert (um 30% und 15%) und nur an einer Seit erhöht (um 30%). Somit hat der Kfz-Verkehr in den umliegenden Gebieten nicht zugenommen - gar abgenommen. In Gràcia konnte obendrein gemessen werden, dass sich zehn Jahre nach Einführung der Fußverkehr um 10% und der Radverkehr um 30% erhöht hat. Der Autoverkehr hingegen hat sich um 25% reduziert. Generell hat die Stadt evaluiert, dass durch die Konzepte der motorisierte Verkehr und die Stickstoffbelastung reduziert wurden.

Nach der Pilotphase im Wiener Supergrätzl (von 2022 bis 2023) wurde eine Befragung durchgeführt. Sie ergab, dass das Vorhaben politisch akzeptiert wurde, da es als ein Pilotprojekt eingestuft wurde. Insbesondere wurde festgestellt, dass sowohl das Straßenfest- als auch der Superblock-Plan im Maßstab 1:50 als Bild auf dem Boden sehr positiv aufgenommen wurden. Die Umfrage zeigte weiterhin, dass für Frauen der öffentliche Raum ein wichtiges Anliegen ist.

Im Rahmen des Pilotprojektes Ottensen macht Platz im Jahr 2019 hat die TU Hamburg eine Evaluation durchgeführt. Befürchtungen vor der Umsetzung waren die Entstehung eines Partyviertels, Probleme mit Lieferdiensten, negative Folgen für Händler*innen oder steigende Mieten. Ergebnis der Evaluation war, dass die Wohnqualität sich verbessert hat. Auch haben sich das Sicherheitsgefühl, die Verkehrssicherheit für Kinder sowie die Verkehrssituation für Rad- und Fußverkehr ebenfalls verbessert. Es wurde zudem in der Pilotphase eine Verringerung des Verkehrslärms erreicht.

Rechtliche Optionen

Poblenou_Kreuzung

Aufgrund bestehender straßenverkehrsrechtlicher Vorgaben ist es für Kommunen häufig eine Herausforderung, Straßenräume umzuwidmen und Quartiere umzugestalten. Generell zeigt sich, dass es positiv ist die Umgestaltung basierend auf politischen Beschlüssen sowie bestehenden Stadtentwicklungs- und Verkehrskonzepten zu begründen und umzusetzen.

In Berlin erfolgten Maßnahmen wie Modalfilter und Einbahnstraßenregelungen auf Grundlage der StVO unter Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung im Sinne des § 45 Abs. 1b Nr. 5 StVO.

Maßnahmen für verkehrsberuhigte Bereiche können generell auch als Verkehrsversuch getestet werden. Hierfür ist seit 2020 keine Gefahrenlage mehr nachzuweisen, eine wissenschaftliche Begleitung (eine von vier Bedingungen) zwingend. Eine solche kann häufig in bestimmten Fällen sehr hilfreich sein, verlängert aber auch den Prozess und erfordert weiteres Budget. Grundsätzlich kann auch der Schutz vor Lärm und Abgasen als Begründungsgrund herangezogen werden, sofern es dafür kleinräumige Daten gibt.

In Hamburg wurden der Verkehrsversuch Ottensen macht Platz und das Nachfolgeprojekt freiRaum Ottensen beklagt. Kommunen, die eine solche Umsetzung planen, ist zu empfehlen die Entscheidungen des Hamburger Verwaltungsgerichtes gründlich zu lesen.

Ausblick

Viele Städte in Deutschland und Europa arbeiten derzeit an der Umsetzung von verkehrsberuhigten Maßnahmen, um die Aufenthaltsqualität in den Quartieren zu steigern. Eine breite Zivilgesellschaft hat sich zudem geformt, siehe z. B. die Kampagne von changing cities Superblocks bundesweit um von „unten heraus“ Änderungen zu fordern. Mit einer verstärkten Umsetzung von diesen Konzepten ist zukünftig zu rechnen, wie schnell und in welchem Umfang ist zu sehen und ist stark abhängig von den lokalen Akteuren in den Städten und Gemeinden.