Seit drei Jahren steht es nun da und wartet auf Nutzende. Das Fahrradparkhaus am Hamburger U-Bahnhof Kellinghusenstraße sollte ein Leuchtturm für die Verkehrswende werden. Ein modern gestalteter Bau, der das Rad mit zwei U-Bahn- und mehreren Buslinien verknüpft. Allein, seit der Eröffnung bleiben die meisten der 600 Stellplätze verwaist. Lokale Medien nannten das Parkhaus eine „peinliche" Fehlplanung. Der Lobbyverein Bund der Steuerzahler ätzte über einen drei Millionen Euro teuren „Flop“. Ist die Vision hinter dem Prestigebau gescheitert? Oder braucht die Verkehrswende einfach einen etwas längeren Anlauf? So oder so – was lässt sich daraus für die Verknüpfung von Rad und ÖPNV lernen?
Schon der ehemalige Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer beschwor das „Fahrradland Deutschland“. Und nicht zuletzt der Boom der E-Bikes schafft immenses Potenzial, das Fahrrad zum Pendlerfahrzeug zu machen. Sei es für die komplette Strecke oder – vor allem außerhalb der Städte – als Zubringer für die Bahn. Doch den großen Plänen folgten zuletzt drastische Kürzungen der Bundesmittel für den Ausbau der Rad-Infrastruktur. Darum ist es wichtiger denn je, das zur Verfügung stehende Geld maximal effizient einzusetzen.
Die Stärkung der intermodalen Verknüpfung von Rad und Schiene bietet sich an, um eine autofreie Alternative für Pendler*innen im Einzugsbereich von Metropolen zu schaffen. Was es dazu und zu einer generellen Steigerung des Radverkehrs braucht, hat das Fraunhofer ISI für den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) untersucht: Eine Verdreifachung des aktuellen Anteils am Gesamtverkehr sei möglich, heißt es in einer im Mai publizierten Analyse. Durch entsprechende Maßnahmen könnten im Jahr 2035 satte 45 Prozent aller Wegstrecken bis 30 Kilometer per Rad zurückgelegt werden.
Neben Investitionen in ein bundesweites Radwegenetz auf niederländischem Niveau und die Förderung der Naherreichbarkeit auf lokaler Ebene – Stichwort 15-Minuten-Stadt – komme dabei dem Öffentlichen Verkehr eine wichtige Bedeutung zu, schreiben die Forschenden. Busse und Bahnen müssten günstig sein und ausreichend Platz für die Mitnahme von Fahrrädern bieten. Ebenfalls zentral seien „ausreichend dimensionierte und sichere Abstellanlagen an allen Haltepunkten und Bahnhöfen“ sowie der möglichst einfache Zugang zu diesen.
Tatsächlich war die Erreichbarkeit des Hamburger Fahrradparkhauses ein Punkt, den der ADFC bereits bei der Eröffnung bemängelt hatte. Die Gestaltung würde Radfahrende zwingen, abzusteigen und ihr Fahrzeug in die Abstellanlage zu schieben. „Mehrspurige Einfahrten in Auto-Parkhäusern, an denen für eine zügige Fahrt sogar Ampeln die Fußgänger*innen auf dem Gehweg stoppen, waren hier kein Vorbild“, stichelte der ADFC. Mittlerweile wurde die Zugangssituation zwar mit positivem Effekt auf die Auslastung verbessert. Doch eine bequeme wie schnelle direkte Zufahrt bis an den Stellplatz ist aus baulichen Gründen nicht möglich.
Die Bedeutung von einer möglichst nahtlosen Verknüpfung von Rad und Bahn betont auch Inga Schlichting, Leiterin Produktmanagement und Smart Cities bei DB Station & Service. Die Einheit der Deutschen Bahn verantwortet unter anderem die sogenannte Bike+Ride-Offensive. Die im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) vor vier Jahren aufgesetzte Initiative zielt auf einen massiven Ausbau der Radinfrastruktur an Bahnhöfen und Haltepunkten. Bald 20.000 Stellplätze wurden zusammen mit den lokalen Kommunen bislang realisiert. Über 50.000 weitere sind projektiert.
Wobei der Bedarf weit höher liege, so Schlichting. Es müssten 1 Millionen bis 2030 werden – also fast das Vierfache des derzeitigen Bestands von knapp 400.000 Stellplätzen. Die Bike+Ride-Offensive agiert als Beraterin der zuständigen Kommunen. Mit fast 1.000 wurden oder werden Projekte umgesetzt. Schlichting schätzt, dass darüber rund 20 Prozent aller Bahnhöfe und Haltepunkte in Deutschland abgedeckt sind. Das heißt aber auch: Es gibt noch einiges zu tun.
Dass der Aufwand sich lohnt, bekomme sie oft zurückgespiegelt, so Schlichting. Die Kombination aus Rad und Bahn sei „häufig der schnellste und individuellste Weg“, sagt sie. Dazu gehöre, die Stellplätze möglichst nah an den Bahnsteigen zu platzieren, gerade an kleineren Zubringer-Bahnhöfen sei dies essentiell. 100 Meter Entfernung oder eine zu überquerende Ampel hätten direkt negative Auswirkung auf die Akzeptanz. Das Beispiel aus Hamburg bestätigt es.
Über kurze Pendelzeiten gewinnt man die Leute für das Rad. Gehalten werden sie durch den Effekt der Verhaltensänderung. Neben Gesundheit und Fitness scheint die autofreie Fortbewegung inzwischen auch eine Imagefrage zu werden. „Viele Menschen empfinden es als Aufwertung ihrer Mobilität“, sagt Schlichting.
Spannend ist darum, wie ein neues Prestigeprojekt in Hannover angenommen werden wird. Dort soll für geschätzte 12 Millionen Euro ein ehemaliger Luftschutzbunker am Hauptbahnhof in ein Fahrradparkhaus mit 1.100 Stellplätzen umgebaut werden. Mit über 10.000 Euro liegen die Investitionen pro Stellplatz hier um den Faktor zehn über den durchschnittlichen Kosten. Dafür allerdings versprechen die ersten Visualisierungen des Projekts den Hannoveraner*innen ein Fahrradparkhaus, das sich ästhetisch und funktional auf niederländischem Niveau bewegt.
Wobei die geplante Anlage nicht einmal ein Zehntel so groß ist wie das weltgrößte, 2019 eröffnete Fahrradparkhaus in Utrecht. Dennoch wird es aufschlussreich sein zu beobachten, wie sich die Auslastung entwickelt. Wobei Inga Schlichting in vielen freien Stellplätzen in neuen Anlagen zunächst einmal kein Problem sieht. Im Gegenteil: „Wären wir direkt bei 100 Prozent, würde keiner mehr umsteigen, weil er keinen Platz finde würde“, sagt Schlichting. „Neue Infrastruktur muss für die Zukunft ausgelegt sein, nicht für das jetzt“.
Wenn es um die Rad-Schiene-Kombi für Pendler*innen innerhalb von und rund um Städte geht, bewegt sich also bereits einiges. Doch wie gut eignet sich das Fahrrad als Letzte-Meile-Option für Reisende im Fernverkehr? Neben dem Ausbau von Stellplätzen müsse laut Fraunhofer ISI ja auch die Möglichkeit zur Mitnahme ausgebaut werden. Das passiert etwa im neuen ICE L, den die DB ab Sommer 2025 einflotten will. Wie bereits im ICE-4 soll es auch dort acht Stellplätze für Fahrräder geben. Zumindest für Leute, die im lang im voraus planen und buchen eine gute Nachricht. Wer allerdings viel und spontan fährt, dürfte weiterhin auf das Faltrad oder lokale Mietangebote am Zielort setzen.
Beim Thema lokale Mieträder gibt es noch eine Zielgruppe, die eine wachsende Rolle spielt. „Touristen wünschen sich häufig ein Rad am Bahnhof, allerdings funktioniere das an vielen Stationen nur als bestellter Verkehr“, sagt Inga Schlichting. Darum versuche man im Rahmen der Bike+Ride-Offensive mehr Verleiher an die Bahnhöfe zu bringen. Die Herausforderung sei hier, dass diese Flotten im Winter nicht genutzt werden. Darum funktioniere die Kombination von Anreise per Bahn und Mietrad vor Ort in der Regel nur als von der Kommune bestellter Verkehr, so Schlichting.
Die Forschenden des Fraunhofer ISI haben übrigens noch eine Idee, wie die intermodale Reisekette Bus, Bahn und Bike populärer werden könnte und die zugleich deutlich preiswerter und schneller zu realisieren sein dürfte als ein neues Fahrradparkhaus. Sie empfehlen eine „entschlossene Digitalisierung“ mit dem Ziel einer „nahtlosen Integration des Fahrrads in Auskunfts- und Buchungssysteme“. Denn ehe Reisende sich Gedanken machen, wie sie mit dem Rad zum Bahnhof kommen und wo sie es dort gegebenenfalls abstellen, muss man sie Menschen ja erst einmal darauf stoßen: Das Fahrrad ist nicht nur eine Option, zum Zug und von dort weiter zum Ziel zu kommen – sondern oftmals auch die schnellste.