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Transformation in Krisenzeiten

07.06.2023

Die Mobilitätswende erfordert von allen Beteiligten Investitionen. Gleichzeitig steigen die Zinsen und das ökonomische Umfeld ist von Unsicherheit geprägt. Dennoch oder gerade deshalb ist jetzt ein guter Zeitpunkt für den Standort Deutschland infrastrukturell aufzurüsten, meint Stefan Schilbe, Chef-Volkswirt beim Bankhaus HSBC.

Corona-Krise, Ukraine-Krieg, Energie-Chaos. Braucht Deutschland und vor allem der deutsche Bürger eine Pause in Sachen gesamtwirtschaftlicher Veränderungen und somit auch in Sachen Verkehrswende? Die Opposition wirft der Regierung planlosen Aktionismus vor und meint zu erkennen, dass die Deutschen inzwischen überfordert sind mit all den transformativen Veränderungen. Andererseits geht es genau jetzt darum, die Resilienz des Standorts zu stärken. Das gilt für Lieferketten genauso wie für den omnipräsenten Fachkräftemangel.

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Herr Schilbe, in was für einer Situation befinden wir uns denn gerade ökonomisch betrachtet?

Zunächst muss man betonen, dass wir aus einer Situation extremer Unsicherheit aus dem Herbst des vergangenen Jahres kommen, bedingt vor allen Dingen durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Die massiven Anstiege auf der Energiepreisseite erschwerten die Kalkulationsgrundlage von Unternehmen und sorgten über die hohe Inflation bei den Haushalten für erhebliche Realeinkommensverluste. Und dementsprechend waren zeitweise die Vorzeichen natürlich ausgesprochen schlecht.

Gemessen an den pessimistischen Erwartungen, die wir im Herbst hatten, ist alles nicht so schlimm eingetreten. Sie erinnern sich an das ifo-Geschäftsklima und das GfK Konsumklima, die weggebrochen waren. Und dann hat sich doch am Ende des Tages die harte wirtschaftliche Realität als nicht ganz so gravierend erwiesen, auch wenn wir nach den letzten Meldungen wie erwartet in eine technische Rezession gefallen sind. Dass diese Wirtschaftsschwäche aber nur moderat ausfällt, ist neben den intensiven Bemühungen, die Gaslager vollzufüllen, auch dem relativ warmen Winter zu verdanken, der mithalf eine Gasmangellage zu vermeiden. Gleichzeitig haben sich die Preise an den Energiemärkten wieder auf die Vorkriegsniveaus zurückgebildet, mit stabilisierenden Effekten bei der Stimmung von Verbrauchern und Firmen.  

Deswegen ist aber natürlich noch nicht alles gut.

Sie haben angesprochen, die Preise haben sich stabilisiert. Wie weit trägt der politische Aktionismus dazu bei? Hat die Wirtschaftspolitik tatsächlich da auch ein Stück weit das Heft des Handels in der Hand?

Faktisch hat man über die Strom- und Gaspreisbremsen die Effekte der am Markt entstandenen Preissteigerungen seit Jahresbeginn spürbar abgefedert. Und das hilft sowohl den Haushalten als auch den Unternehmen. Ein gutes Beispiel ist die Chemieindustrie, die ja noch bis in den Dezember sehr starke Produktionsrückgänge hatte und mit dem Wirken der Gaspreisbremse eben seit Januar auch eine Erholung im Produktionsprozess sieht. Natürlich gehen mit den Hilfsmaßnahmen auch volkswirtschaftliche Kosten einher, die wir auf der fiskalpolitischen Seite sehen werden. Aber durch die Tatsache, dass sich eben auch an den Großhandelsmärkten die Preise wieder weitgehend normalisiert haben, fallen diese Kosten geringer aus, als man vielleicht noch im Herbst hätte befürchten können.

"Die Mobilitätswende erfordert von allen Beteiligten Investitionen. Gleichzeitig steigen die Zinsen und das ökonomische Umfeld ist von Unsicherheit geprägt. Dennoch oder gerade deshalb ist jetzt ein guter Zeitpunkt für den Standort Deutschland infrastrukturell aufzurüsten."

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Stichwort Inflationsrate: Im Moment ist sie noch recht hoch für deutsche Verhältnisse, ist das etwas, worauf man sich auf Dauer einstellen muss?

Zunächst einmal rechnen wir im Trend mit einer sinkenden Inflationsrate. Wir haben, wenn Sie den harmonisierten Verbraucherpreisindex nehmen, für 2023 eine Erwartungshaltung von 6,2% für Deutschland und von 5,7% für die Eurozone. Im nächsten Jahr werden diese Werte wahrscheinlich spürbar niedriger ausfallen, beides in einer Größenordnung von 2,8%. Das ist dann nach der Zielsetzung der EZB natürlich noch nicht Preisstabilität, aber es geht zumindest in die richtige Richtung.

Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass hier natürlich ganz erheblich Basiseffekte eine Rolle spielen. Aufgrund der Tatsache, dass man im Jahresverlauf 2023 die Energiepreise gegen die ungewöhnlich hohen Werte des Vorjahres vergleicht, wird die Inflationsrate arithmetisch gedämpft.

Daneben haben wir im Moment noch einen sehr hohen Preisdruck auf der Lebensmittelpreisebene. Das ist kurzfristig wahrscheinlich noch nicht vorbei, weil die Preise für unverarbeitete Lebensmittel immer noch steigen, die typischerweise mit einer gewissen Zeitverzögerung an die Verbraucher weitergegeben werden. Aber auch da zeichnet sich ab, dass wir im Trend niedrigere Preise bekommen.

Was wir jetzt allerdings sehen, und das ist etwas, was natürlich auch der Europäischen Zentralbank noch ein bisschen Kopfzerbrechen bereiten wird, sind spürbar höhere Lohnanstiege infolge des robusten Arbeitsmarktes. Denken Sie z. B. an den Tarifabschluss, den wir im öffentlichen Dienst gesehen haben, der in der Konsequenz dazu führt, dass vor allen Dingen im Dienstleistungsbereich die Inflation wahrscheinlich erhöht bleibt, mit entsprechenden Konsequenzen bei der Kernrate der Inflation. Das kann eine Europäische Zentralbank nicht ignorieren.

Deswegen ist mir die in den Finanzmärkten eingepreiste Erwartungshaltung suspekt, dass nach vielleicht ein, zwei Zinserhöhungen schon schnell wieder Senkungen folgen. Da sind wir als Haus eher etwas zurückhaltend.

Wo erwarten Sie ein Zinsziel? Was verträgt eine Wirtschaft ohne abgewürgt zu werden?

Eins vorweg: Wir haben natürlich schon einen großen Weg an Zinserhöhungen gesehen. Wir waren ja noch vor ungefähr einem Jahr bei minus 0,5%. Im Einlagensatz sind wir jetzt bei 3,25%. Allerdings haben wir eben durchaus noch existente Risiken über die gut ausgelasteten Arbeitsmärkte auf der Lohnseite und das könnte eben die Inflation höher halten, als es der EZB eigentlich genehm ist. Dementsprechend rechnen wir noch mit drei weiteren Zinsschritten um jeweils 25 Basispunkte im Juni, Juli und September. Dann wären wir im Einlagensatz bei 4,0% und dann dürfte die EZB abwarten und mal sehen, inwieweit die in der Vergangenheit beschlossenen geldpolitischen Restriktionen im Zeitablauf ihre Wirkung entfalten. Nach den Schätzungen der EZB dauert es bis zu fünf Quartale, bis die Geldpolitik vollumfänglich wirkt.

Und gutes Indiz dafür ist der ECB Lending Survey unter Finanzinstituten in der Eurozone, der kürzlich veröffentlicht worden ist. Dieser Befragung zufolge melden die Banken bereits eine nachlassende Kreditnachfrage von Unternehmen und Haushalten, weil einfach die Finanzierungskonditionen teurer geworden sind. Gleichzeitig werden die Finanzinstitute zurückhaltender bei der Kreditvergabe.

Ist es in der aktuellen Situation nicht sogar noch ein Stück dramatischer als sonst, weil wir so viele Transformationsthemen haben?

Zunächst einmal muss man ja sagen, dass die Haushaltslage nicht ganz so dramatisch ist, weil wir über die hohen nominalwirtschaftlichen Wachstumsraten ja doch relativ gute Steuereinnahmen haben. Natürlich, und das ist eben jetzt nun die Herausforderung für die Politik, bedeutet eine geänderte Zinslandschaft auch, dass man priorisieren muss bei den Ausgaben und das ist deutlich unangenehmer, weil man nicht mehr in dem Maße das Füllhorn ausschütten kann, wie das bei ungewöhnlich niedrigen, zeitweise sogar negativen Zinsen der Fall war.

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Wie sehen Sie den europäischen Wirtschaftsraum insgesamt global betrachtet von der Investitionsseite her?

Wir galten immer als sehr teures Pflaster für Investitionen, deswegen sind so viele Investitionen auch in der Produktion ausgelagert worden, in Richtung Asien zum Beispiel. Auf der anderen Seite haben wir letztes Jahr diese große Zuverlässigkeitskrise gesehen.

Ändert das die Perspektive internationaler Unternehmen auf Investitionen in Deutschland?

Ich glaube schon, dass die Entwicklung, die wir vor allen Dingen im Energiepreisbereich haben, etwas ist, was besonders bei energieintensiv produzierenden Unternehmen Fragen der Wettbewerbsfähigkeit aufwirft. Dazu kommt, dass wir neben dieser Energiepreisthematik zunehmend auch ein Problem haben, Facharbeiter zu finden. Mehr als ein Drittel der Unternehmen im Verarbeitungsgewerbe klagen darüber, dass sie nicht die notwendigen Mitarbeiter finden, um ihre Produktion auszuweiten. Nicht zuletzt als Folge der Knappheit an qualifizierten Arbeitskräften sind die Lohnstückkosten in den letzten 12 Jahren in Deutschland stärker gestiegen als in den Nachbarländern – relativ betrachtet ein weiterer Standortnachteil.

Um diese Probleme zu lindern, brauchen wir eine qualifizierte Zuwanderung. Dafür müssen wir natürlich auch die Menschen davon überzeugen, warum es besonders interessant ist, nach Deutschland zu kommen.

Was kann man tun, damit eine Wirtschaft in einer solch schwierigen Situation nicht erstarrt, sondern ihr Heil in Innovation und Transformation sucht?

Es ist ganz wichtig, dass wir Verlässlichkeit haben, was eben beispielsweise Stromversorgung oder Gasversorgung betrifft, auch zu insgesamt erträglichen Kosten. Wir müssen, glaube ich, sehr stark im Bereich Digitalisierung investieren, denn alles, was jetzt irgendwo im Bereich Innovation diskutiert wird, erfordert auch die entsprechenden Rahmenbedingungen auf der digitalen Seite.

Das ist kostspielig, aber typischerweise erzielt man aus diesen Investitionen volkswirtschaftlich betrachtet langfristig auch einen Ertrag. Andere Länder werden das auch tun – eine günstige und verlässliche Energieversorgung und eine gut ausgebaute Infrastruktur – auch digital – sind wesentliche Standortfaktoren.

Gilt das Gleiche auch für alles, was Nachhaltigkeitstechnologien angeht?

Im Grunde ja, natürlich. Entscheidend ist ja, dass wir da innovativ bleiben, dass wir in der Lage sind, auch dann andere Länder von der Qualität unserer Produkte zu überzeugen, nicht zuletzt, weil wir als Land mit relativ hohen Produktionskosten kaum über die Preisseite konkurrieren können.

Die Volkswirtschaftslehre tut sich immer ein bisschen schwer damit, die psychologische Ebene mit einzuberechnen. Wie lässt sich die Motivation für ein so schwieriges Thema, wie die Verkehrswende, aufrechterhalten?

Das ist eine gute Frage. Man muss ja am Ende des Tages die Leute in der Transformation mitnehmen in einem Umfeld, wo sie im Moment durch einen massiven Realeinkommensverlust ohnehin schon gebeutelt sind. Das kann nicht alles der Staat finanziell über Subventionen abfedern.

Im Moment haben wir eine erkennbare Verunsicherung bei den Haushalten, wenn da möglicherweise große Investitionen zu schultern sind, wenn verlangt wird, dass mal eben ein Haus energetisch saniert wird, Wärmepumpen eingebaut werden. Selbst wenn das langfristig durchaus Sinn machen kann, wenn man in der Lage ist, günstigen Strom CO2-frei zu produzieren.

Wir kommen aus einer langwierigen Pandemie und kommen jetzt sozusagen gerade aus einer schweren Energiekrise. Wir haben im letzten Jahr gesehen, dass die Menschen aufgeatmet haben und trotz vielleicht großer Herausforderungen zunächst noch konsumiert haben. Der gebuchte Urlaub wurde trotz knappen Budgets angetreten, Restaurants besucht und Freizeitaktivitäten wahrgenommen.

In so einem Umfeld dann von den Haushalten zu verlangen, dass sie noch im großen Stil investieren, stellt eine große Herausforderung dar.

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Wir haben großen Investitionsstau im Bereich Straßenverkehr, Brückenbau, Eisenbahn, Gleisnetz. Ist das was, was sich zeitlich aufschieben lässt, um sozusagen die Effekte auch auf die Ausgabenseite dann zu dämpfen?

Die Steuereinnahmen sind auf absoluten Rekordständen. Es ist aus meiner Sicht eine Frage der richtigen Priorisierung und dann natürlich auch eine Frage, inwieweit man die entsprechenden Planungskapazitäten hat. Das fängt ja schon damit an, dass sich beispielsweise Infrastrukturprojekte, angefangen von der Planung in öffentlichen Ämtern bis zur tatsächlichen Ausführung (Stichwort: Facharbeitermangel), extrem lange hinziehen.

Selbst wenn wir sehr viel Geld in die Hand nehmen, heißt das noch lange nicht, dass wir die geplanten Projekte eins zu eins umsetzen können.

Wo fehlt es an Bereitschaft in Deutschland zu investieren und woran liegt es?

Es fehlt nicht an Bereitschaft zur Finanzierung. Wenn ich jetzt beispielsweise mal institutionelle Investoren nehme, die wären ja schon bereit in Public-Private-Partnerships zu investieren. Und das kann durchaus ja auch zielführend sein. Wenn Sie einen privaten Investor dabeihaben, geht ein Projekt typischerweise oftmals sehr gut und „in time“ über die Bühne. Also könnte man gerade in einer Zeit kräftig steigender staatlicher Refinanzierungskosten versuchen, über gezielte Kooperationen unter Einbeziehung privater Geldgeber solche kostspieligen Projekte umzusetzen. Das Problem mangelnder Kapazitäten im öffentlichen Bau ist damit natürlich noch nicht gelöst.

Stefan Schilbe

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Stefan Schilbe verantwortet als Chefvolkswirt von HSBC Deutschland seit 2001 das "Economic Research", die volkswirtschaftliche Abteilung der Bank, die sich mit Konjunktur-, Zins- und Devisenanalysen befasst.
In dieser Funktion steht er Unternehmen, institutionellen und privaten Investoren bei Kapitalanlagen und Finanzierungen beratend zur Seite. Herr Schilbe ist Mitglied im "Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik" des Bundesverbands deutscher Banken (Vorsitzender von 2012-2014), in der „Chief Economist´s Group“ der European Banking Federation EBF und gefragter Redner auf nationalen wie internationalen Konferenzen. Darüber hinaus verfügt er über langjährige Erfahrungen als Beirat in einem mittelgroßen Family Office, ist Mitglied in diversen Anlageausschüssen von Spezialfonds sowie Lehrbeauftragter des Private Finance Instituts der European Business School (ebs) in Oestrich-Winkel.